Beim Hochgeschwindigkeitsscherschneiden (HGSS) gibt es im Hinblick auf die unterschiedlichen Prozessphasen einige grundlegende Unterschiede zum Normalschneiden. Der Stempel trifft mit hoher Geschwindigkeit auf das Blech auf, und nach der elastischen Verformung wird der Blechwerkstoff im Bereich zwischen den Schneidkanten von Matrize und Stempel sehr schnell plastisch verformt. Beim HGSS ist das vollständige Gleiten des Stempels durch das Stanzgitter in der Regel nicht erforderlich, sodass das Bauteil aufgrund der kinetischen Energie auch dann ausgestoßen werden kann, wenn der Stempel bei ca. 1/3 der Blechdicke gestoppt wird. In Abhängigkeit vom Werkstoff und den Prozessparametern erhöhen sich die lokalen Dehnraten durch die Lokalisierung der plastischen Deformation. Die Lokalisierung wird durch hohe Dehnraten, eine geringe Dehnratensensitivität und eine geringe Wärmeleitfähigkeit begünstigt. Durch die hohe plastische Deformation und die damit einhergehende Umwandlung der Verformungsenergie in Wärme sowie Reibung in Kombination mit niedriger Prozesszeit und geringer Wärmeleitung können hohe Temperaturen in der Lokalisierungszone entstehen. Dies kann zu plastischen Instabilitäten, wie der Bildung eines (adiabatischen) Scherbandes, führen.
Das Verhältnis der Schneidkräfte beim HGSS und beim konventionellen Scherschneiden ist vom Werkstoff abhängig. Auch das Erscheinungsbild der Schnittflächen wird durch die erhöhten Prozessgeschwindigkeiten stark beeinflusst. Es entstehen nur ein geringer Kanteneinzug, nahezu kein Glattschnitt und auch sehr wenig Grat. Die Trennfläche ist beim HGSS somit annähernd vollständig durch die Bruchfläche charakterisiert. Die Bruchfläche wiederum weist im Gegensatz zum Normalschneiden einen Bruchflächenwinkel nahe 90° und eine geringe Rauheit auf. Neben einer hohen Geradheit beim HGSS ermöglicht die Erzeugung von adiabatischen Scherbändern zusätzlich die Möglichkeit die lokalen Mikrostrukturen gezielt so zu beeinflussen, dass außergewöhnliche (Oberflächen-)Eigenschaftskombinationen resultieren. Dies kann die Verwendung von mittels HGSS erzeugten Trennflächen als Funktionsflächen ermöglichen.
HGSS eignet sich für ein großes Spektrum an Werkstoffen. Bei sehr duktilen Werkstoffen reduziert sich im Vergleich zum konventionellen Scherschneiden z. B. deutlich der Einzug. Bei sehr festen oder gehärteten Werkstoffen ermöglicht HGSS durch die hohe lokale Wärme und die damit verbundene lokale thermische Entfestigung einen generellen Beschnitt bei gleichzeitig sehr guten Schnittflächeneigenschaften. Es können Blechdicken von 0,2 - 10 mm am Fraunhofer IWU geschnitten werden.
Vorteile des Verfahrens
- sehr hohe Qualität der erzeugten Schnittflächen
- Beschnitt von sehr festen (gehärtet) und duktilen Werkstoffen möglich, mit deutlich verbesserter Schnittflächenqualität und geringer Einhärtetiefe
- Ausbildung von adiabatischen Scherbändern an der Schneidkante, die zusätzlich positive Eigenschaften besitzen