Konkrete Anwendungen im messetauglichen Kompaktformat präsentieren die Chemnitzer Spezialisten für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik vom 16. bis 21. September 2019 auf der Sonderschau Industrie 4.0 der EMO in Halle 9, Stand F 32: Die live vor Ort produzierende »Maschine 4.0« und eine »gläserne Werkzeugmaschine« verdeutlichen den ganzheitlichen Ansatz zur konsequenten Digitalisierung in der industriellen Produktion. Im Fokus: Wertschöpfung und konkreter Mehrwert. Dies unterstreichen insbesondere zwei einsatzfähige Lösungen zur Prozessauslegung: SkiveAll für das Verfahren des Wälzschälens sowie ein sensorloses Monitoringsystem für die Bahngenauigkeit bei Werkzeugmaschinen.
Werkzeugbahnfehler in Echtzeit erkennen
Die Abweichung der Werkzeugbahn während einer Bearbeitung ist bislang eine große Herausforderung für den Anwender: Sie beeinflusst maßgeblich die Beschaffenheit des finalen Werkstücks, ist aber in der Regel unbekannt. Zur Vermeidung von Abweichungen sind daher aufwändige Prüfungen am Werkstück notwendig, auf die erst zeitverzögert reagiert werden kann. Wissenschaftler des Fraunhofer IWU haben nun ein Monitoringsystem entwickelt, das praktisch in Echtzeit genaue Informationen über die reale Werkzeugbahn generiert und so auch Korrekturen während der Bearbeitung oder gar im Bahnplanungsprozess ermöglicht. Der unwirtschaftliche Prüfaufwand kann so in einzelnen Anwendungen um den Faktor 10 reduziert werden.
Basis des sensorlosen Monitoringsystems der Bahngenauigkeit ist ein echtzeitfähiges, messdatenbasiertes Modell zur Prozessauslegung – ein digitaler Zwilling. Verbunden mit der Maschinensteuerung wird dieser über eine spezielle Steuerungsschnittstelle kontinuierlich mit Lage-Ist-Werten der NC-Achsen gespeist. Aus dem Vergleich mit der geplanten Sollbahn generiert er prozessbegleitend Zeitpunkt und Größe etwaiger Bahnfehler.
Der Clou: Prinzipiell ist das Monitoringsystem auf jeder Werkzeugmaschine einsetzbar. Die Chemnitzer Spezialisten passen das System individuell kunden- und maschinenspezifisch an – von der professionellen Maschinencharakterisierung über die Anpassung oder Entwicklung der Steuerungsschnittstelle bis hin zum echtzeitfähigen Modell.
Komplexe Wälzschälprozesse wirtschaftlich auslegen
Die Forderung der Industrie nach leistungsfähigen und kostengünstigen Prozessen für die Fertigung qualitativ hochwertig verzahnter Bauteile, wie sie bspw. in Planetengetrieben für die Elektromobilität benötigt werden, verlangen nach innovativen Technologieansätzen. Eine Antwort darauf ist das Wälzschälen, ein Verzahnverfahren mit bestimmter Schneide, das die Produktivität des Wälzfräsens und die geometrische Flexibilität des Wälzstoßens vereinigt. Da das Verfahren erst seit Kurzem am Markt verfügbar und zudem durch seine verfahrenstypischen Mehrschnittstrategien hoch komplex ist, liegt bisher noch wenig Erfahrungswissen zur Auslegung von Wälzschälprozessen vor. Entsprechend groß ist der Bedarf nach einem mathematischen Prozessmodell und einer Benutzersoftware zur Unterstützung des Auslegungsprozesses. Wissenschaftler des Fraunhofer IWU stellen nun ihre Lösung in Form der eigens entwickelten Software SkiveAll vor.
SkiveAll arbeitet mit Algorithmen zur Auslegung von Wälzschälprozessen – von der Werkstückdefinition über die kinematische Auslegung bis hin zur Berechnung der Werkzeuggeometrie und der Funktionen zur Prozessanalyse. Die Software ist dabei modular aufgebaut, wobei der zentrale Baustein das Auslegungsmodul ist. Auf Basis der Werkstück- und Verzahnungsdaten generiert dieses einen Technologievorschlag, der anschließend in einer 3D-Umgebung auf Kollision geprüft wird. Das ist notwendig, da sich das Wälzschälen neben außenverzahnten Werkstücken mit Störkontur insbesondere auch für Innenverzahnungen eignet und Kollisionen von Werkstück und Werkzeug ausgeschlossen werden müssen. Als Ergebnis wird eine Schnittfolge inklusive aller Schnittwerte, Maschineneinstellungen und weiterer Informationen für jeden einzelnen Schnitt generiert. In einer Übersicht können Kosten, Zeiten und Werkzeugeinsatz für die einzelnen Technologievarianten verglichen werden. Dem Anwender steht damit erstmalig eine Benutzersoftware zur Ermittlung eines optimierten und damit wirtschaftlichen Auslegungsprozesses für das Wälzschälen zur Verfügung.
Maschine 4.0 – Mehrwert vernetzte Produktion erleben
Mit der »Maschine 4.0« – exemplarisch in Form einer funktionsfähigen Miniatur-Umformpresse und ihrem digitalen Zwilling – zeigen die Wissenschaftler des Fraunhofer IWU, wie Digitalisierung in der Produktion ganzheitlich gelingen kann. Der zwei Meter hohe und 1,5 Tonnen schwere Demonstrator mit einer Presskraft von 15 Tonnen kann Bauteile lochen, tiefziehen und beschneiden. Neben diesen technologischen Funktionalitäten wird durch die Digitalisierung eine lückenlose Überwachung von Prozess, Maschine und Werkzeug erreicht. Dadurch kann die Maschinenverfügbarkeit deutlich gesteigert, die Lebensdauer erhöht und auch die Einarbeitungszeit der Werkzeuge signifikant verkürzt werden – und das prinzipiell unabhängig von der Art der Maschine.
Sensoren garantieren eine umfassende Selbstüberwachung der Maschine. An verschiedenen Stellen der Maschine angebracht, messen diese z. B. Kräfte, Wege und Dehnungsraten. Da nicht an jeder erforderlichen Position Sensoren integrierbar sind, fehlen mitunter relevante Maschinendaten. Hier wurden virtuelle Sensoren entwickelt, die auf Grundlage eines speziellen Algorithmus die notwendigen Werte errechnen können. Die Gesamtheit dieser Daten wird in das eigens entwickelte, softwarebasierte Analyse-Modul »Smart Stamp« eingespeist und bildet das Fundament für die Generierung des digitalen Abbildes bzw. virtuellen Zwillings. Alle Informationen zum aktuellen Zustand der Maschine können auf einen Blick und in Echtzeit dargestellt werden. Verschiedene Bausteine des Konzepts »Machine 4.0« sind bereits bei diversen OEMs und Tier-1 der Automobilindustrie im Einsatz.